„Sexueller Missbrauch ist keine Privatangelegenheit“
„…aber die eigene Familie ist der sicherste Ort für Kinder.“ Das mag auf viele Kinder zutreffen, aber nicht auf alle. Familien sind auch der Ort, an dem prozentual am meisten sexuelle Übergriffe an Kindern stattfinden. Es ist ein Thema, dessen Ausmaß vielen Menschen nicht bewusst ist.
Gestern, am 7. September 2021, hat die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs eine neue Studie zu sexueller Gewalt in der Familie veröffentlicht. Es ist ein Forschungsprojekt von Wissenschaftler:innen der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Für die Studie wurden schriftlichen Berichte und vertrauliche Anhörungen von 870 Betroffenen ausgewertet.
Einige zentrale Aussage der Studie:
- die eigenen Eltern wurden als Täter:innen am häufigsten genannt (44%)
- die größte Tätergruppe: Väter (48% der berichteten Missbrauchsvorfälle*)
- in Familien sind gerade die jüngsten Kinder besonders betroffen (bei 50% vor dem 6. Lebensjahr)
- Muster: Wenn die Gewalt im jungen Alter begann, dauerte sie in Familien oft viele Jahre an
- viele Betroffene berichten, dass es mehr als ein Täter:in in der Familie gab
- in jedem 10. Fall waren Mütter mitschuldig, weil sie zum Missbrauch geschwiegen habe
„Die dokumentierten Berichte betroffener Menschen offenbaren, dass es über Jahrzehnte hinweg zahlreiche vergleichbare Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs in Familien in Deutschland gegeben hat. Dafür fehlt bisher ein öffentliches Bewusstsein. Die gesellschaftliche Vorstellung, es handle sich bei sexueller Gewalt in Familien um individuelle Einzelschicksale, kann somit widerlegt werden.“
– Marie Demant (Erziehungswissenschaftlerin und Autorin der Studie)
„Wir brauchen Antworten auf die Frage, wie der Schutz von Kindern und Jugendlichen gelingen kann, ohne das Recht auf Privatsphäre von Familien zu ignorieren. Sexueller Kindesmissbrauch ist keine Privatangelegenheit.“
-Prof. Dr. Sabine Andresen (Vorsitzende der Kommission u. Autorin der Studie)
Zur Pressemitteilung der Aufarbeitungskommission
*Stiefväter und Pflegeväter eingerechnet. Zieht man diese ab, machen Väter 36% aus.