Den Tätern auf der Spur – Reisebericht 1/2
Britta Holmberg ist Programmchefin bei Childhood. Sie ist Teil des Teams von Childhood Schweden, kümmert sich u.a. aber auch um die internationalen Projekte, die Childhood unterstützt, z.B. in Asien. Im Anschluss an die Eröffnung des Childhood-Haus in Leipzig, die sie mit uns gefeiert hat, ist sie direkt weiter nach Asien geflogen für ein ganz besonderes Projekt, das Childhood Schweden derzeit voranbringt: Schwedischen Tätern auf die Spur zu kommen, die nach Asien reisen, um Kinder zu missbrauchen. In einem zweiteiligen Reisebericht hat sie uns ein wenig auf ihre mehrwöchige Reise mitgenommen.
Meine Anreise
Hallo, ich heiße Britta Holmberg und ich bin die Programmchefin bei Childhood. Gemeinsam mit Ecpat haben wir eine ganz spezielle Reise nach Thailand und Kambodscha gemacht. Im Normalfall geht es bei unseren Projektbesuchen ja vor allem um Partner, die mit Kindern oder Familien arbeiten, um dem Risiko von sexuellem Missbrauch entgegenzuwirken. Dieses Mal interessieren uns aber die Täter!
Männer, die verreisen, um sich sexuell an Kindern zu vergehen. Welche Männer sind das? Wie stellen sie den Kontakt zu den Kindern her? Wie finden wir diese Männer? Und wie können wir sie gemeinsam stoppen?
Nach einer langen Flugreise landete ich in Asien. Man kann wirklich überwältigt werden von dem Elend, der Armut und der Unsicherheit. Die große Verletzbarkeit findet man auch bei so vielen Kindern vor Ort: Auf vielen verschiedenen Ebenen. Ein Vierjähriger, der seiner Mutter auf der Straße beim Zubereiten des Essens hilft. Eine Großmutter, die auf einem Moped sitzt und ihr schlafendes Enkelkind auf dem Schoß hält – ein kleines Baby ohne Helm mitten in der Rush Hour. Der schmutzige Junge, der recyclebaren Kunststoff sammelt, um ihn für einen Spottpreis weiterzuverkaufen. Hier gibt es so viele Sachen, bei denen Veränderungen geschehen müssen. Es gibt so großen Handlungsbedarf!
Hier geht es vor allem um Armut, tief verwurzelte soziale Normen, Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Es ist leicht, sich hilflos zu fühlen und zu fragen, was wir tatsächlich erreichen können. Ich entscheide mich gegen den Gedanken ”Ein Tropfen auf den heißen Stein” und denke mir lieber: Ein Kind nach dem anderen.
Im Taxi vom Flughafen in Phnom Penh häng ein Schild mit der Aufschrift: ”Child sexual abuse and child exploitation are serious crimes in Cambodia and will not be tolerated”. Am Flughafen Bangkok treffen wir auf Tafeln mit ähnlichen Aufschriften. Es sind mehr als nur wir, die den Kampf gegen reisende Täter aufgenommen haben. Das ist gut. Wir müssen viele sein und wir müssen zusammenarbeiten. Das ist auch der Zweck dieser Reise. Um mehr engagierte Menschen zu finden, nicht zuletzt auch schwedische Einwohner in Kambodscha und Thailand, die nicht wollen, dass ihre Landsleute sich an Kindern vergehen. Wir werden hierzu auch andere internationale Akteure treffen, um Wege zu finden, möglichst erfolgreich zusammenzuarbeiten. Die Ressourcen der lokalen Polizei sind begrenzt und für die Kinder spielt es keine Rolle, ob die Täter schwedisch, amerikanisch oder thailändisch sind.
Auch wenn wir eine besondere Verantwortung haben, Schweden daran zu hindern sexuelle Übergriffe an Kindern in anderen Ländern zu begehen, müssen alle Arbeiten darauf abzielen, den Schutz aller Kinder zu stärken und die Arbeit der Polizei zur Ergreifung aller Täter, unabhängig von ihrer Nationalität, zu erleichtern.
„Kinder auf Abruf“
In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren ist viel passiert. In der Vergangenheit konnten auch normale Reisende sehen, wie kleine Straßenkinder um westliche Männer strömten und dann gemeinsam in einem Tuk Tuk, einem asiatischen Mopedtaxi, wegfuhren. Oder weiße Männer, die kleine kambodschanische Jungen am Strand an der Hand hielten.
Kinder, die offensichtlich nicht zur Familie gehörten, wurden in fremde Hotelzimmer gebracht. Durch intensive Aufklärungsarbeit und härteren Reaktionen der örtlichen Polizei, der Zivilgesellschaft, der Reisebranche und einzelner Reisenden ist die offene sexuelle Ausbeutung von Kleinkindern in Ländern wie Thailand und Kambodscha fast vollständig verschwunden. Aber niemand, mit dem wir sprechen, kommt zu dem Schluss, dass es diese Ausbeutung nicht mehr gibt. Die Täter sind nur gezwungen worden verfeinerte Strategien zu entwickeln: Unsichtbarer werden. Wir wissen bereits, dass Männer (Ja, weil es im Prinzip fast immer Männer sind), die mit dem Ziel Reisen, sich an kleinen Kindern zu vergreifen, Wege finden die extreme Armut und die Verzweiflung der Menschen auszunutzen.
Wir wissen, dass es jetzt vorkommt, dass diese Männer ein großes Landhaus mieten, in dem sie in aller Ruhe Kontakt aufnehmen und ganze Familien in der Gegend „unterstützen“ können, indem sie sich als wohlwollende Helfer ausgeben. Sie suchen Arbeit oder Freiwilligendienste, bei denen sie mit Kindern, die besonders schutzlos sind (z.B. in Kinderheimen, Schulen oder Kirchen) in Kontakt kommen. Oder sie beginnen eine Beziehung zu einer Frau, die Kinder des entsprechenden Alters hat. Und sie nutzen die Anonymität des Internets, um sichere Zonen und Netzwerke zu schaffen, über die sie Tipps und Kontakte bekommen. Fast jeder, den wir treffen, sagt, dass die häufigste Möglichkeit für reisende Straftäter heute Kontakt mit Kindern zu knüpfen soziale Netzwerke und verschiedene Apps sind. Manchmal sind es Teenager, die über Dating Apps und soziale Netzwerke mit Käufern in Kontakt treten, um ihnen dabei zu helfen auch mit jüngeren Kindern in Kontakt zu treten.
Eine Person, mit der wir sprechen, nennt sie „Kinder auf Abruf“.