9. Oktober 2024
„Wir dürfen die Sicherheit von Kindern niemals als selbstverständlich erachten“

25 Jahre sind vergangen, seit Ihre Majestät Königin Silvia von Schweden entschied, dass es an der Zeit war, nicht länger die Augen davor zu verschließen, dass Kinder sexualisierte Gewalt erfahren. Die Entscheidung war leicht – es musste etwas getan werden, um Kinder zu schützen. Die Reaktionen von außen waren gemischt. Sollte eine Königin sich mit einem so heiklen Thema beschäftigen? Gleichzeitig vereinte sich ein starkes Netzwerk hinter Ihrer Majestät. Gemeinsam gründeten sie die World Childhood Foundation – ein Gespräch mit unserer Stifterin.

Wenige Menschen sprachen Ende der 1990er Jahre über die Rechte von Kindern. Noch weniger wagten es, über sexualisierte Gewalt gegen Kinder zu sprechen. 1996 fand der erste Weltkongress gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern in Stockholm statt. Ihre Majestät Königin Silvia von Schweden hielt die Eröffnungsrede.

Kurz darauf sprach Ihre Majestät auch auf einer Konferenz in Paris über die Situation von Kindern in verschiedenen Ländern. Es war eine leidenschaftliche Rede über die sexualisierte Gewalt gegen Kinder. Eine Rede, die das Publikum nicht hören wollte. Es war eine unangenehme Wahrheit, die sie zum Schweigen brachte und sie wegsehen ließ.
„Das hat nur meinen Entschluss gestärkt, dass etwas getan werden muss. Es wurde und ist bis heute eine treibende Kraft.“

Wenn das Schweigen in Paris eine treibende Kraft war, um weiterzumachen, war es ein Besuch in einer Favela in Rio de Janeiro, der den Grundstein für die Idee einer Organisation legte, die Kinder vor sexualisierter Gewalt schützt.

Zusammen mit einer Freundin, die in der Favela arbeitete, traf Ihre Majestät Kinder, die von ihren Eltern verlassen oder getrennt worden waren. Sie trafen auch Kinder, die von ihren Familien getrennt wurden, weil sie sexualisierte Gewalt erfahren hatten.
„Es war etwas ganz Besonderes. Und gefährlich. Diese Kinder lebten in ständiger Angst. Ich fühlte so stark, dass ich etwas tun musste. Es gab bereits viele hervorragende Organisationen, die mit obdachlosen Kindern arbeiteten, aber es gab niemanden, der Kinder vor sexualisierter Gewalt schützte. Hier sah ich die Möglichkeit, einen Unterschied zu machen.“

Ihre Majestät wandte sich an ihre Netzwerke in Brasilien, Schweden und den USA.
„Ohne sie hätte es Childhood nicht gegeben. Es ging nicht nur um die finanzielle Unterstützung, sondern auch darum, dass sie an uns geglaubt haben. Ich möchte ihnen und allen anderen, die uns in den ersten 25 Jahren unterstützt haben, ein großes und herzliches Dankeschön sagen.“

Seit ihrer Gründung hat Childhood über tausend Initiativen umgesetzt, die den Schutz gestärkt und das Risiko verringert haben, dass Kinder sexualisierte Gewalt erfahren. Gibt es etwas, worauf Ihre Majestät besonders stolz ist?
„Dass wir auf so vielen verschiedenen Ebenen arbeiten. Ich habe Childhood mit den Worten gegründet: ‚Ich habe eine Organisation gegründet. Mein größter Wunsch ist es, sie bald wieder zu schließen.‘ Das haben wir nicht geschafft. Aber wenn ich sehe, wie wir uns entwickelt haben und dass das, was wir tun, Kindern Hoffnung gibt, bin ich stolz. Hin und wieder kommt eine Mutter zu mir und bedankt sich. Das sind schöne Momente.“

Ihre Majestät Königin Silvia von Schweden fährt fort:
„Ich freue mich, dass heute so viele Menschen in diesem Bereich aktiv sind. Wir müssen alle weiterkämpfen. Wir dürfen die Sicherheit von Kindern niemals als selbstverständlich erachten.“

Seite an Seite für die Sicherheit der Kinder

Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Madeleine teilt das Engagement ihrer Mutter für die Rechte der Kinder. Im Alter von 17 Jahren wurde Ihre Königliche Hoheit Schirmherrin der schwedischen Organisation „Min Stora Dag“, die sich um Kinder mit schweren Diagnosen und Krankheiten kümmert. Ihre Königliche Hoheit begann auch früh, mit Ihrer Majestät für Childhood zu reisen, und hat sowohl in den Büros von Childhood in Schweden als auch in den USA gearbeitet.
„Als Mutter machte ich mir Sorgen, dass es zu hart für sie wäre, sie war noch so jung. Aber sie wollte es tun, und sie hat damit weitergemacht. Sie ist sehr interessiert, engagiert und gut auf die Zukunft bei Childhood vorbereitet. Das ist berührend.“

Es ist keine leichte Aufgabe, Meilensteine aus den ersten 25 Jahren von Childhood herauszupicken. Aber es gibt sicherlich Beispiele, die entscheidend waren. Eines davon ist das Präventionsprojekt, das den sexuellen Missbrauch von Kindern entlang der Hauptstraßen Brasiliens erfolgreich reduziert hat. Ein anderes Beispiel ist die frühe Finanzierung von Software, die die Verbreitung von kinderpornografischem Material blockiert und verhindert. Und die Verbreitung des Barnahus-Modells (in Deutschland das Childhood-Haus Konzept), das zu einer der Hauptaufgaben von Childhood geworden ist.

Kinder auf die richtige Weise ansprechen

Ein Childhood-Haus ist ein Ort für Kinder, die Betroffene von sexualisierter Gewalt geworden sind. Hier erhalten die Kinder die richtige Unterstützung in einem sicheren Umfeld. Schwedens erstes Barnahus, das von Childhood finanziert wurde, wurde 2005 in Linköping eröffnet. Alles begann jedoch mit einem Staatsbesuch in Island im Jahr 2004. Das Programm beinhaltete einen Besuch eines Barnahus.
„Ich dachte, sie wollten uns ein Waisenhaus zeigen. Als wir ankamen und ich sah, was es war, wusste ich, dass sie wirklich verstanden hatten, wie Kinder, die Betroffene von Gewalt geworden sind, behandelt werden sollten. Das war etwas, das wir in Schweden voranbringen wollten.“

Childhood stellte das Modell schwedischen Politiker:innen, dem Justizsystem und Kinderrechtsexpert:innen vor. Es gab großes Interesse, aber auch Menschen, die das für unnötig hielten und glaubten, Kinder bräuchten keine spezielle Behandlung und müssten im Gerichtssaal genauso präsent sein wie Erwachsene.
„Das war frustrierend. Kinder sprechen eine andere Sprache. Man muss mit ihnen auf eine Weise reden, die sie verstehen, und man muss ihnen in einer kindgerechten Umgebung begegnen. Kinder sollten nicht mit ihrem Täter oder ihrer Täterin im Gerichtssaal konfrontiert werden. Glücklicherweise hat sich das mittlerweile geändert.“

Auch in Brasilien gibt es jetzt ein ähnliches Modell, aber noch wichtiger ist ein Gesetz (2017), das sicherstellt, dass Kinder und Jugendliche, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, auf kindgerechte Weise verhört werden. Das Gesetz ist ein direktes Ergebnis des langjährigen Kampfes von Childhood für die Rechte der Kinder im Land.

2018 wurde das erste Barnahus – Childhood-Haus – in Deutschland eingeweiht. Heute gibt es zehn solcher Einrichtungen, und viele weitere sind in Planung. Das Ziel ist, in jedem Bundesland mindestens ein Childhood-Haus zu haben.
„Die Stimmen der Kinder müssen gehört und priorisiert werden. Es macht mir Hoffnung, dass das Barnahus-Modell nun an so vielen Orten existiert, nicht zuletzt in der Ukraine.“

Im Herbst 2023 reiste Ihre Majestät mit Mitarbeitenden und Vorstandsmitgliedern von Childhood nach Polen, um Childhood-Partner aus der Ukraine zu treffen.
„Sie sind Helden in allem, was sie für Kinder tun. Ihre schrecklichen Geschichten zu hören, war notwendig und interessant. Aber emotional waren diese Treffen die schwierigsten, die ich je erlebt habe.“

Obgleich das Barnahus-Modell der Königin Hoffnung gibt, gibt es auch etwas, das sie sehr beunruhigt.
„Die Kinder und das Internet. Es wird nicht umsonst das Darknet genannt. Es ist so groß, es gibt so viele dunkle Ecken, die wir nicht erreichen können. Es ist nicht einfach für die Kinder, aber auch nicht für die Eltern. Ich habe mit einer Expertin darüber gesprochen, und sie war sehr klar: Als Elternteil muss man präsent sein. Setzt euch mit euren Kindern hin und seid in dem, was sie im Internet tun, involviert.“

Mit der Macht zur Veränderung

Es ist klar, dass Ihre Majestät keine Gelegenheit verpasst, über die Rechte und die Verwundbarkeit von Kindern zu sprechen. Ob vom Rednerpult der Vereinten Nationen oder in informellen Gesprächen – der Antrieb, Wissen zu verbreiten und mehr Menschen zu mobilisieren, ist immer präsent.

Einmal wurde Ihre Majestät zu einem Treffen von Präsident Lula da Silva in Brasilien eingeladen.
„Ich hatte die Gelegenheit, mit der Frau des Präsidenten darüber zu sprechen, dass in Schweden die Prügelstrafe verboten ist. Sie war sehr interessiert. Drei Monate später hielt der Präsident eine leidenschaftliche Rede gegen Kindesmisshandlung. Es gibt ein brasilianisches Sprichwort, das ungefähr so lautet: ‚Wenn du denkst, es ist aus Liebe, dann tut es nicht weh.‘ In seiner Rede sagte der Präsident stattdessen: ‚Auch wenn du denkst, es tut nicht weh, verletzt es dennoch die Seele.‘“

Die Rede des Präsidenten war der Beginn einer großen nationalen Veränderungsinitiative, die dazu führte, dass Brasilien 2014 ein Gesetz gegen Prügelstrafen verabschiedete.
Beim Global Child Forum in São Paulo im Jahr 2017 löste die Rede Ihrer Majestät eine weitere Reaktion eines brasilianischen Präsidenten aus.
„Ich hielt eine Rede darüber, was wir tun, und dass das Gesetz über kindgerechte Behandlung und Befragung verabschiedet werden muss. Plötzlich stürmte Präsident Temer auf die Bühne und rief: ‚Ich unterschreibe.‘ Ich war tatsächlich etwas überrascht. Aber er unterschrieb es.“

Auf die Bemerkung, dass Ihre Majestät einen großen Einfluss habe, reagiert sie bescheiden:
„Ich weiß nicht, ob das so ist. Aber ich versuche es.“

Text: Petra Engström Alexander / Übersetzung: Judith Bader
Foto: Jonathon Rees 2019

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